Michael Konnerth Heimatbuch

Abtsdorf – ein ehemals deutsches Dorf in Siebenbürgen

Gundelsheim 1997, 736 Seiten, 374 Abbildungen, davon 95 in Farbe, 66 Tabellen
Erschienen in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. März 1998

Professor Dr. Konrad Gündisch: Beispielhaftes Heimatbuch

“Dieses Buch strebt Vollständigkeit an.“ Ein solcher Anspruch, erhoben von Michael Konnerth im Vorwort zur Monographie seiner Heimatgemeinde Abtsdorf in Siebenbürgen, macht neugierig, fordert zum Widerspruch heraus. Das umso mehr, als über Abtsdorf bei Agnetheln bisher praktisch keine eigenständige wissenschaftliche Arbeit erschienen ist, manchmal dieses Abtsdorf mit dem gleichnamigen Ort bei Mediasch verwechselt wurde, selbst in angesehenen Abhandlungen. Und nun, trotz fehlender, bestenfalls unzureichender Vorarbeiten gleich ein Werk, das „ein lückenloses und wahrheitsgetreues Bild über Abtsdorf“ vermitteln will?

Der Rezensent wird neugierig, prüft eingehend, sucht die Lücken, die Fehler – schließlich gehört ja die Kritik zu jeder ordentlichen Buchbesprechung. Was zunächst leicht erscheinen will, erweist sich in der Ausführung als äußerst schwierig. Die Prüfung des Quellen- und Literaturverzeichnisses (S. 718-725) zeigt auf Mängel hin keinen – in vergleichbaren Arbeiten fast sicheren – „Erfolg“.
Es fehlt keine Veröffentlichung, in der Informationen über Abtsdorf enthalten sind, keine Monographie, die für die Kenntnis der Rahmenbedingungen wichtig ist, kein Archiv, von dem man erwarten kann, dass darin Quellen zur Kultur und Geschichte dieses Ortes aufbewahrt sind. (Der kritische Rezensent muss sich damit zufrieden geben, zumindest einen, wenngleich recht geringfügigen Fehler bemerkt zu haben: der Herausgeber des Lexikons der Siebenbürger Sachsen heißt Walter Myß nicht Müß). 
Ein zweiter Anlauf gilt dem Inhaltsverzeichnis (S. 9-15). Unübersichtliche Gliederung gäbe einen Anlass zur Kritik, die fehlerhafte Zuordnung eines Abschnitts zu einem der 15 größeren Kapitel einen anderen, das Fehlen eines für die Monographie wichtigen Aspekts einen dritten, thematische Wiederholungen oder Überschneidungen einen weiteren. Doch auch die Gliederung muss man als systematisch, folgerichtig und klar akzeptieren.


Auf die Einleitung, in der der Forschungsstand und die Quellenlage erörtert werden, folgt die Vorstellung der Naturbedingungen und der Verwaltungszugehörigkeit; die Geschichte der Gemeinde wird im III. Kapitel von der ersten urkundlichen Nennung bis zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geschildert, auch die NS-Zeit nicht ausgeklammert, im XI. Kapitel mit dem „Niedergang Abtsdorfs“ nach 1945 fortgeführt und im XII. Kapitel über die „Abtsdorfer Nachbarschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ beendet; das „Dorf und seine Bewohner“, auch die Nichtsachsen werden ebenso vorgestellt wie wirtschaftliche Lage („Lebensgrundlagen und Arbeitswelt“), Gemeindeverwaltung und Gemeinschaftssinn, Kirche und Schule, Namenskunde (Personen- und Flurnamen) oder Volkskunde (Tracht, Brauchtum, Reime, Sagen, Anekdoten). 
Der dritte Versuch, nämlich Fehler in der Darstellung und Interpretation zu finden, ist zeitaufwendiger, denn nun gilt es, über siebenhundert Seiten zu durchforsten. Doch auch hier Fehlanzeige! Der Stil ist flüssig, korrekt, für jeden Leser verständlich. An die Orthographie muss man sich gewöhnen, denn der Autor hat die Mühe nicht gescheut, die Regeln der jüngsten (der Rezensent meint: glücklicherweise noch nicht verpflichtenden) Rechtschreibreform anzuwenden. Das gelegentliche Fehlen der rumänischen Schriftzeichen (zum beispiel auf S. 87 Cotofeni statt Cotofeni) eignet sich kaum zu einer ernsthaften Kritik. Die Information ist zuverlässig, das Urteil zurückhaltend. Zwar spürt man, dass das Heimatbuch mit viel Liebe geschrieben ist, doch nicht einmal die Darstellung des Jahrhunderte langen Gemarkungsstreits mit Birthälm (S. 65-72) ist von blindem Lokalpatriotismus geprägt und verbleibt im Rahmen einer objektiven Darstellung.


Zahlreiche Abbildungen (viele sind farbig), Karten, Katasterpläne, Graphiken und Tabellen ergänzen und veranschaulichen den Text. Welche Informationsfülle diese Tabellen, verarbeiten, konzentrieren und auf einen Blick fassbar machen, zeigt zum Beispiel die Dokumentation der sächsischen Bewohner – nach Hausnummern gegliedert – und ihrer Nachkommen (S. 629-704): rund 3000 Personen werden den 138 Abtsdorfer Höfen zugeordnet mit Geburts- Heirats- und Sterbedaten, aktueller Anschrift sowie weiterführender Anmerkungen. Die älteste Angabe betrifft den am 14. Oktober 1773 geborenen Michael Conert (Hof Nr. 76/62), die jüngste den kleinen Sebastian Mattes (geb. am 7. April 1996), dessen Uhrahn Martin Mattes 1815 geboren wurde und als erster Besitzer von Hof Nr. 138/162 bezeugt ist. Nun gibt sich der kritische Rezensent geschlagen und urteilt: Das Buch entspricht voll und ganz den Erwartungen, die es im Vorwort weckt. Die Ortsmonographie von Abtsdorf kommt dem legitimen Bedürfnis der Bewohner entgegen, in anschaulicher Sprache und Form über die Vergangenheit, über die wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Entwicklung ihrer Gemeinde informiert zu werden bzw. diese Informationen für die Nachkommen festzuhalten.


Dem Verfasser ist es auf der Grundlage einer vielfältigen Quellenrecherche gelungen, alle Aspekte des dörflichen Lebens in einer bis dahin kaum erforschten Gemeinde und im Kontext der allgemeinen Entwicklungen darzustellen. Die umfassende Information, die von der Auswertung der Fachliteratur über Archivstudien bis zur Befragung von Wissensträgern reichte, wurde kritisch hinterfragt. Die korrekten Quellennachweise ermöglichen eine weiterführende wissenschaftliche Auseinandersetzung. Damit stellt diese Ortsmonographie den Forschern verschiedenster Fachbereiche eine Fülle von gesicherten Detailinformationen zur Verfügung. Am konkreten Beispiel des alltäglichen Lebens im Mikrokosmos einer kleinen Gemeinde werden größere Zusammenhänge fassbar, können die Auswirkungen allgemeiner Entwicklungen untersucht, theoretische und methodische Ansätze illustriert, besondere Ausprägungen erkannt und eingeordnet werden. Das Buch verdeutlicht einerseits das Beharrungsvermögen einer ländlichen Gemeinschaft in einem deutschen Siedlungsgebiet im südöstlichen Mitteleuropa, andererseits die Integrationsfähigkeit ihrer Angehörigen in einem neuen Umfeld, nach der Flucht bzw. Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland.


Zur Integration der ehemaligen Abtsdorfer in ihrer neuen Heimat trägt das vorliegende Buch wesentlich bei, nicht zuletzt, indem es ihr Selbstbewusstsein stärkt und Integration bei Wahrung der Identität ermöglicht. Aus all diesen Gründen ist Michael Konnerths „Abtsdorf“ eine musterhafte, eine hoffentlich beispielgebende Monographie einer siebenbürgisch-sächsischen Gemeinde.