Die Glocken

Mittlere Glocke

Auf dem Abtsdorfer Kirchturm befinden sich drei wertvolle Glocken. Die älteste von ihnen, den Abtsdorfern als “mittlere” Glocke bekannt, stammt aus der Zeit um 1500. Sie ist aus Bronze gefertigt und wurde im Jahre 1929 umgegossen. Die Glocke hat einen Durchmesser von 0,76 m und eine Höhe von 0,66 m.

Die lateinische Inschrift, als Umschrift am Glockenhals zwischen zwei Blütenornamentfriesen angebracht, hat folgenden Wortlaut: “Rex glorie Jesu Christi veni cum pace” (Ruhmreicher König, Jesus Christus, komm mit Frieden ). Gleich darunter, ebenfalls in Umschrift, ist zu lesen: “Umgegossen im Jahre 1929 durch Fritz Kauntz, Glockengießer in Hermannstadt”.

Die alte Glocke musste umgegossen werden, weil sie gesprungen war. Dabei wurde jedoch der ursprüngliche Spruch – falls die weiter unten wiedergegebene Information zutreffen sollte – etwas abgeändert. Auf der alten Glocke lautete dieser nämlich: “O REX GLORIE VENI CUM PACE” (Oh, ruhmreicher König, komm mit Frieden) und bestand nur aus Großbuchstaben. Dies ist eines der ältesten Glockengebete, das sie eindeutig als eine sehr alte Glocke ausweist, die sicherlich schon in vorreformatorischer Zeit gegossen worden ist. Dieser Spruch, der bis Mitte des 16. Jahrhunderts sehr häufig Verwendung fand, wurde dann nach der Reformation, die in Siebenbürgen um 1550 durchgeführt wurde, durch protestantische Formeln ersetzt. Zudem war die Inschrift auf der Vorgängerglocke, wie eben angedeutet, in Spätmajuskeln wiedergegeben. Es handelt sich dabei um kunstvolle Schrifttypen, die wiederum auf das hohe Alter der ersten Abtsdorfer Glocke schließen lassen.

Wenn auch direkte Angaben über das Datum ihres Gusses oder den Glockengießer fehlen, lässt sich doch anhand der oben angeführten Merkmale ziemlich deutlich bestimmen, dass diese Glocke aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt. Das ist die Zeit, in der die Abtsdorfer Kirche zur Burg ausgebaut und mit einer Ringmauer versehen wurde. Wie an anderer Stelle bereits dargestellt, befand sich über dem Eingang zur Abtsdorfer Burg ein Beobachtungstürmchen, von wo aus der Turmwächter das Herannahen des Feindes ankündigte. Dass sich hierfür eine Glocke am besten eignete, liegt auf der Hand.

Große Glocke

Die “große” Glocke hat einen Durchmesser von 1,15 m und eine Höhe von 0,85 m. Die Inschrift am Glockenhals lautet: “Wenn wir rufen, wenn wir beten, hilf uns Herr in unseren Nöten”. Oberhalb vom Spruch befindet sich ringsherum ein Laubfries und unterhalb davon ein Taufries.

Kleine Glocke

Eine dritte, die sogenannte “kleine” Glocke mit einem Durchmesser von 0,75 m und einer Höhe von 0,55 m ziert zwischen Laub- und Taufries der Spruch: “Die Lebenden rufe ich, die Toten beklag ich”.

An den zwei letztgenannten Glocken hat man unterhalb vom jeweiligen Taufries, und zwar am oberen Rand des langen Feldes, den Namen der auftraggebenden Gemeinde und das Jahr des Gusses angebracht: Abtsdorf 1925. Beide Glocken sind nämlich im Jahre 1925 als Klangstahlglocken gegossen worden, und zwar von der Hofglockengießerei Schilling und Lattermann in Apolda (Thüringen). Die Gesamtkosten lagen bei 85.000 Lei, davon trugen die in Amerika lebenden Abtsdorfer 23.150 Lei bei.

Die neuen Glocken wurden am Samstag, 31. Januar 1926, im Beisein der ganzen Gemeinde, mit Hilfe eines Flaschenzugs auf den Turm hinaufgezogen und auf den neuen, von den Abtsdorfer Zimmerleuten Johann Konnerth (80/58), Andreas Untch (78/60) und Andreas Wagner (133/5) gefertigten Glockenstuhl gesetzt. 
Die Fertigung eines Glockenstuhls ist eine anspruchsvolle Arbeit. Dieser muss frei und ohne feste Verbindung zu den Turmwänden stehen, jede Verstrebung zu dem Turm kann zu erheblichen Bauschäden führen. Zudem gewährleistet nur ein einwandfreier Glockenstuhl die vollkommene Entfaltung der Glocken. Am Sonntag, 1. Februar 1926, wurden die Glocken feierlich eingeweiht. Von dem durch die Bruder- und Schwesterschaft mit Tannengrün geschmückten Turm ließen die Abtsdorfer Adjuvanten den Choral “Ein’ feste Burg ist unser Gott” in alle vier Himmelsrichtungen erklingen.

Überschattet wurden die mit der Einweihung der neuen Glocken im Zusammenhang stehenden Feierlichkeiten durch ein tragisches Ereignis, das in der Erinnerung der Abtsdorfer bis heute lebendig geblieben ist. Am Abend des 31. Januar, also an dem Tag, an dem man die neuen Glocken auf den Turm gehoben hatte, erschoss der 35 Jahre alte Abtsdorfer Johann Herberth seine 23-jährige Frau Agnetha geb. Gross, um nachher sich selbst, ebenfalls durch Erschießen, umzubringen. Wie es zu diesem tragischen Ereignis kommen konnte, ist nie geklärt worden. Es lieferte aber reichlich Stoff für Legendenbildung.

Vor Anschaffung der beiden Klangstahlglocken im Jahre 1926 hat es auf dem Abtsdorfer Kirchturm neben der eingangs beschriebenen und aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammenden Bronzeglocke zwei weitere, ebenfalls aus Bronze gefertigte Glocken gegeben. Eine von ihnen, ebenfalls als “große” Glocke bekannt, ist auf Anweisung des k.und k. Kriegsministeriums am 10. Oktober 1916 vom Turm zum Einschmelzen heruntergeholt worden, um aus dem Material Kanonenrohre zu gießen. Die damalige Lehrerin Anna Lehrer hat dieses Ereignis in ihren schon mehrfach genannten “Tagebuchblättern” festgehalten. Darin vermerkt die aufmerksame Chronistin am 11. Oktober 1916: “Gestern hat man nun auch die Abtsdorfer Glocke heruntergeholt”.

Leider erfahren wir aus den im Abtsdorfer Kirchenarchiv aufbewahrten Akten nichts über Alter, Inschriften und Maße dieser 1916 eingeschmolzenen Glocke, obwohl der Bischof in einem Rundschreiben angeordnet hatte, von allen abzugebenden Glocken genaue Aufzeichnungen zu machen. Wir wissen nur, dass sie 370 kg wog, aus Bronze gefertigt war und man für sie der Kirchengemeinde eine Entschädigung von 1.480 Kronen (4 Kronen pro Kilogramm) in Aussicht gestellt hatte.

Was das Alter der 1916 requirierten Glocke anbelangt, so könnte sie zusammen mit einer weiteren Glocke (der so genannten “kleinen”Glocke) im Jahre 1799 angeschafft worden sein. 
Im mehrfach schon genannten “Inventarium” über die Abtsdorfer Kirchengüter vom Jahre 1819 werden nämlich drei Glocken aufgeführt: “Die Kirche selbst mit einer Ringmauer umgeben und einem vorstehenden Turm, worinnen drey Glocken zur Ermunterung allgemeiner Andacht und Gottes Mahnung sich befinden”.

Leider ist uns das weitere Schicksal der “kleinen” Glocke, die sich 1819 zusammen mit der großen und der mittleren Glocke auf dem Kirchturm befand, nicht bekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie gesprungen und dadurch unbrauchbar geworden war und man aus ihr die spätere Schulglocke gegossen hat. Diese hing jedoch nicht in der Glockenstube des Kirchturms, sondern auf dem Dachreiter des 1913 errichteten evangelischen Schulgebäudes. 
Früher sind oft Glocken zersprungen, weil die Klöppelaufhängung nicht fachgerecht gewartet wurde. Dazu ein Fachmann: “Der Klöppel muß mit der Mitte des Ballens am Schlagring, der stärksten Stelle der Glocke, anschlagen, und genau dann, wenn die Glocke den höchsten Aufschwung erreicht hat. Er darf stets nur in der Läuterichtung bewegbar sein, nicht etwa in der Glocke hin- und herbaumeln, darf keineswegs höher, oder, wie bei vielen alten, tiefer als am Schlagring anschlagen, ohne die Glocke zu verletzen oder endgültig zu zerstören. Er darf auch nicht ewig die selben Anschlagstellen treffen, wenn die Glocke nicht springen soll. Deshalb muß in größeren Zeitabständen ‘gedreht’ werden.”

Dass die mittlere Glocke 1916 nicht auch vom Turm geholt und auf die Reise zum Schmelzofen geschickt wurde, ist dem Umstand zu verdanken, dass es sich bei ihr um eine äußerst wertvolle Glocke handelt. Aufgrund eines Erlasses des k. und k. Kriegsministeriums, der im Juli 1916 in den Kirchlichen Blättern veröffentlicht wurde, waren nämlich Glocken von historisch oder künstlerisch hohem Wert – vom Kultusministerium festgelegt – den Gemeinden zu belassen. So blieb die mittlere Glocke den Abtsdorfern erhalten. 10 Jahre lang rief sie allein zum Gottesdienst und zum Gebet, bis sich zur ihr 1926 – wie oben dargestellt – zwei neue Glocken gesellten, und seither wieder ein Zusammenläuten – das so genannte Geläute – ermöglicht wurde.
Das Geläute der Abtsdorfer Glocken ist auf die Töne “a”, “cis” und “e” gestimmt. Es besitzt ein herrliches Klangbild mit langem Nachhall.

Bis zu der durch massive Auswanderung bedingten Auflösung der Abtsdorfer Kirchengemeinde haben die drei Glocken Freud und Leid der Gemeinde verkündet. Jetzt ist ihr Klang endgültig verstummt. Zudem sind die Leitern, die zur Glockenstube führen, zum Teil mutwillig zerstört worden. Was mit den Glocken, die stets Eigentum der Kirchengemeinde waren, in Zukunft geschieht, bleibt ungewiss.

Abschließend sei kurz auf die Verwendung der Glocken und die damit zusammenhängende Art des Läutens eingegangen. Die wichtigste Funktion der Glocken bestand im Sammeln der Gemeinde zum Gottesdienst. Dazu wurden die Glocken auf folgende Weise geläutet: eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes, fünf Minuten die große, nach einer kurzen Pause fünf Minuten die mittlere, und nach einer weiteren Pause fünf Minuten die kleine Glocke. Schließlich wurde etwa fünf Minuten vor Beginn des Gottesdienstes, und zwar von dem Augenblicke an, wo der Pfarrer sein Haus verließ, mit allen drei Glocken zusammengeläutet, und dies bis er die Kirche betreten hatte.

Diese Art des Läutens war nicht nur vor dem sonntäglichen Hauptgottesdienst, sondern auch vor dem jeweiligen Abendgottesdienst üblich, der an bestimmten Abenden während der Adventszeit und der Karwoche abgehalten wurde. 
Genauso wurde auch zur Vesper jeweils samstags und sonntags um 14.00 Uhr geläutet, auch wenn man seit längerer Zeit keinen Vespergottesdienst mehr feierte. 
Fand im Anschluss an den Hauptgottesdienst eine Trauung statt, so wurde dafür mit allen drei Glocken zusammengeläutet, dies vom Verlassen des Hochzeitshauses durch den Hochzeitszug und bis zu dessen Ankunft in der Kirche. 
Auch bei der Einsegnung der Konfirmanden wurde mit allen drei Glocken zusammengeläutet.

Die Glocken dienten auch dazu, einen Toten auf seinem letzten Weg zu begleiten. Anlässlich eines Begräbnisses wurde wie folgt geläutet: zuerst mit der kleinen Glocke eine dreiviertel Stunde (für die Trauergemeinde), nach einer kurzen Pause mit allen drei Glocken zusammen fünf Minuten (für die Nachbarschaft), anschließend mit der großen Glocke (für die Adjuvanten und den Pfarrer) ebenfalls fünf Minuten, und schließlich wieder mit allen drei Glocken zusammen, und zwar vom Augenblick, wo der Leichenzug das Leichenhaus verließ, und bis zur Ankunft auf dem Friedhof.

Hingegen wurde ein in einem anderen Ort verstorbenes Gemeindeglied bei seiner Überführung in die Heimatgemeinde durch Läuten mit der großen Glocke geehrt. Das Läuten setzte ein, wenn der Leichenwagen die Gemarkungsgrenze erreicht hatte. Die Glocken dienten auch der Aufforderung zum Gebet, eine Aufgabe, die durch das alltägliche Morgen- und Abendläuten wahrgenommen wurde. Die ältesten Abtsdorfer erinnern sich noch daran, wie ihre Großväter beim Morgen- und Abendläuten jede Tätigkeiten unterbrachen, das Haupt entblößten, ihre schweren, müden Hände zusammenlegten und beteten.

Das Morgenläuten geht auf die Zeit zurück, als auch an Werktagen noch Frühgottesdienst stattfand. Dazu wurde zwischen Karfreitag und erstem Advent – außer am Sonnabend – morgens um sieben Uhr die mittlere Glocke eingesetzt; die übrige Zeit geschah dies um 7.30 Uhr. 
Das Abendläuten, auch Nachtglocke (“Nouchtkliuk”) genannt, wurde ebenfalls von der mittleren Glocke besorgt, und zwar zwischen Karfreitag und erstem Advent, nach Einbruch der Dämmerung, und vom ersten Advent bis Karfreitag um acht Uhr abends. Das Morgen- und Abendläuten dauerte jeweils fünf Minuten, wobei Letzteres mit drei Glockenschlägen endete, das heißt Gottvater, Sohn und Heiliger Geist.

Die Glocken waren aber auch dem weltlichen Leben zugewandt. 
So wurde durch das Läuten mit der großen Glocke jeweils um 12.00 Uhr die Mittagszeit angekündigt. Zudem wurden ebenfalls mit der großen Glocke die Dorfbewohner bei Gefahr, zum Beispiel anlässlich eines Feuers, zusammengerufen. Es handelt sich hier um das sogenannte Sturmläuten (“Stermen”), wobei der Glockenstrang unregelmäßig gezogen wurde, so dass jeder den Anlass sofort erkennen konnte. Es wurde solange geläutet, bis das Feuer unter Kontrolle war.

Das Läuten besorgte der jeweilige Kirchendiener, bei den Siebenbürger Sachsen “Burghüter” genannt. Es hatte gegenüber einer Läutemaschine den Vorteil, dass der Glöckner “am Seil” sofort bemerkte, wenn an der Glocke etwas nicht in Ordnung war. Wo man aber den Glöckner durch ein Läutewerk ersetzt, wird jeder Mangel erst bemerkt, wenn es nicht mehr läutet. Dann kann der Schaden schon sehr groß sein.